Weihnachtsbrief vom 25. Dezember 2022

Wieder Weihnachten. Ende November fragte ich mich anlässlich der Adventskalender-Initiative unserer demokratischen Kollegen vom Wir-Gemeinsam-Bündnis, ob das überhaupt geht: Weihnachten! Nach all dem, was wir erlebt haben.

Letztes Jahr saß das Geschehen uns noch direkt auf dem Schoß, gegen Frühling dann bald eher im Nacken und im Moment macht es sich ein wenig rar. Wir erholen uns nach dem Wahnsinn und vor dem nächsten Wahnsinn, den man gerne immer weiter über uns bringen möchte, weiter und weiter, ekstatisch beinahe und am liebsten bis in den Exzess.

Dieser Adventskalender unserer Kollegen gab vielen Menschen den Raum dafür, ganz konkret bei sich selbst danach zu forschen, was ihnen von drei Jahren, sensibel formuliert: möglicherweise, „künstlich“ geschaffenem Ausnahmezustand geblieben ist. Die Reflektionen waren nicht immer leicht zu lesen, aber ihre Überlegungen waren wichtig. Ich, für meinen Teil, versuche nach einer akuten Krise so bald wie möglich darauf zu blicken, was mich und uns Menschen auf unserem Weg weiterbringt. Ich versuche darauf zu blicken, was Zuversicht schafft. Deswegen erzählte ich von zwei Begegnungen, die dazu ermuntern, auf das Gute zu schielen, das existiert, wenn auch verborgen.

In der letzten Zeit begegnete ich Menschen, die sich von einer guten Hoffnung an das Leben und die Menschen verabschiedet haben. Ich leuchtete in den Gesprächen noch einmal nach hie und da, um in meinem Verständnis zu zeigen, dass neben allem Finsteren eben immer irgendwo ein Lichtlein lauert. Diese Menschen lehnten dankend ab. Sie bleiben bei sich, wo es finster ist. Und ich lasse sie.

Eine frisch zurück liegende Trauerfeier erlaubte mir, einen konkreteren Begriff davon zu erlangen, wie sehr es angebracht ist, Lebenswegen Respekt zu zollen. Sich eben nicht einzumischen. Wir alle gehen unseren Weg – falsche Abbiegungen und Umwege eingeschlossen. Das ist in Ordnung, weil es der Ordnung des Lebens entspricht. Aber wie gehen wir mit uns selbst um, wenn wir glauben, das Unrecht mit Händen zu greifen und uns doch nicht aufdrängen wollen? – Dann setzen wir uns noch einmal auseinander, mit diesem schmalen Grat zwischen dem Aufzeigen von Alternativen und der Idee, es besser zu wissen, die sich mitunter als Belehrung entpuppt. In aller Zurückhaltung sage ich deshalb: Wer sich aber aufmachen will, seinen Weg zu gehen, wer also offen dafür ist, neue Einsichten zu erlangen, der darf und kann es wagen, Lichter zu entzünden, obwohl uns das Dunkle umgibt.

Denn das tut es. Und da gibt es keinen Erlöser, scheinbar jedenfalls keinen tauglicheren als den alten Erlöser, dessen Geburtstag wir gestern feierten. Mir ist wohl bewusst, dass es nicht auf allzu viel Popularität stößt, diesen Auslöser des christlichen Weihnachtsfests abseits von Weihnachten ins Spiel zu bringen. Aber wo hilft Popularität? Gestern, an diesem Weihnachtsvormittag im Jahr 2022, veröffentliche Jens Wernicke, der Herausgeber und Gründer des Rubikon-Magazins einen Beitrag, den niemand in seiner Redaktion veröffentlicht sehen wollte. Das kann man gut nachvollziehen. Da brach der Autor mit vielen, jedenfalls ungeschriebenen, Regeln. Und während man den Aufsatz liest, wird man hin und hergeworfen. Man weiß und spürt, wie recht der Autor hat und möchte dennoch rufen: „Wieso hast du das hier geschrieben?“ Jens Wernicke ging diesen Schritt unbeirrt. Er sei nur der Wahrheit verpflichtet, sagte er sinngemäß. Und alleine schon aus diesem Grund möchte ich ihm zu seinem Mut gratulieren.

Kaum anders verhält es sich mit dieser Erlöser-Geschichte. Manch einer flieht im Nu, andere schimpfen, kommt man auf ihn zu sprechen. Das hat viele bekannte und nachvollziehbare Gründe. Am Ende aber scheint es die Angst vor dem eigenen Licht, das die Menschen bis ins Mark erschreckt! Das ist doch die Kernbotschaft seines Lebens. Nicht das Weihwasser, nicht die Devotionalien. Was, wenn die Menschen selbst ihr Licht zum Leuchten bringen könnten? Wäre das alte Leben länger gangbar? Dieser alte Erlöser, auch er hat dieses Dunkle nicht ins Jenseits befördert. Auch er zeigte Schattenanteile, war er doch Mensch, der nicht ohne Fehler sein kann. Können wir endlich begreifen, dass unser Erdendasein in der Polarität stattfindet?

Was wir erlebt haben und was viele unter uns zutiefst erschreckt hat, findet seinen Grund im Menschsein selbst. Menschen waren es, die diese „Neue Normalität“, die schrecklichste Erinnerungen wachrufen konnten, mit installiert und mächtig gemacht haben. Menschen, die wir liebten, die wir schätzten. Andere Menschen, Menschen fast überall. Wenn diese uns umgebenden Menschen auch diese Schrecklichkeiten nicht selbst ersonnen haben, weil dafür ein besonders erschreckendes Maß an Destruktivität gegenüber dem Leben im Menschen selbst Voraussetzung ist, reicht das Dazugehören- und das Alles-richtig-machen-Wollen längst dafür aus, das Grauen Realität werden zu lassen.

Ist das die Weihnachtsgeschichte?

Diese Überlegungen klingen ja so gar nicht nach Weihnachtsgeschichte, mögen Sie nun denken. Das ist schlüssig, außer sie mündeten in der Erkenntnis, dass der Mensch seinen freien Willen besitzt. Immerhin grenzt das Duden-Lexikon ihn von anderen Säugetieren unter anderem durch die Fähigkeit zu sittlichen Entscheidungen und zur Erkenntnis von Gut und Böse ab.

Gewiss, dieser Wille ist das Ziel vielerlei schwerwiegender Angriffe psychologischer und chemischer und auch sonstiger Art. Denken wir an die Summen, die in Marketing-Strategien fließen, um uns von neuen öffentlichen Ideen zu überzeugen: sogenanntes „Impfen als Exit-Strategie“ aus einer neu definierten „Pandemie“, „Viele und noch mehr Waffen für den Frieden“. Denken wir an den Einfluss frei verkäuflicher Substanzen in sogenannten Nahrungsmitteln, an Medikamente, an sogenannte „Adjuvantien“ in auch herkömmlichen Impfstoffen.

Dennoch: die Aufgabe der Vorstellung eines freien Willens betrachte ich als eine höchst untaugliche Idee, so lange uns unser Leben heilig ist: Der Moment, in dem wir sie aufgeben, lassen wir zu, dass sich diese verrückte Idee, der Mensch könne endgültig seines Willens beraubt werden, Bahn bricht. Das wünscht man sich. Daran wird gewirkt mit großem Aufwand.

Nein! Dem möchte ich mein Einverständnis nicht geben!

Spüren wir doch selbst hin – jeden Tag und jede Entscheidung auf` s Neue – wie wir uns entscheiden wollen. Noch einmal: Umwege eingerechnet! Es sind kleine Momente, in denen wir den einen oder anderen Weg einschlagen können. Und ginge es nur um ein liebes oder böses Wort zu unseren Nächsten – sagen wir nicht, „wir konnten nicht anders“. Sagen wir, wir haben uns entschieden.

Und so erlebe ich immer wieder, dass wir mit einem zwar irgendwie beschränkten, doch zugleich weitem Spielraum auf diese Welt kommen. Weit genug, um uns vollends zu fordern. Auf welchem Pol einer Skala zwischen erlöster und unerlöster Spielart einer jeden Angelegenheit wir uns niederlassen – dies bleibt uns überlassen, jedenfalls zumeist.

Wollen wir weiter daran bauen, diese Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen, dürfen wir Schritt für Schritt weiter gehen. Je mehr wir dabei im Reinen mit uns selbst sind, desto eher finden sich andere Menschen mit ein. Schaut auf die unwiderstehliche Anziehungskraft eines glücklichen Menschen auf unsere Kleinsten!
Oh, wie sie mit dabei sind!

Das Leben meint es gut mit uns, sage ich. Man erkennt das daran, wenn man die unendliche Geduld betrachtet, die es uns schenkt. Diese wiederum erkennt man, wenn man ganz besonders genau hinschaut. Solch ein Zeichen sind auch die vielen Spenden, die gerade in den letzten Wochen als Reaktion auf mein Gespräch mit Wladislaw Jachtchenko eingegangen sind. Ich bedanke mich im Namen des Vereins noch einmal herzlich bei Ihnen.

Lassen Sie uns unseren Weg gemeinsam weiter gehen. Das schließt die kontinuierliche Überprüfung unserer eigenen An- und Absichten unbedingt mit ein. Aber auch den festen Glauben daran, dass uns in Fragen des Wirkens für das Leben stets geholfen wird.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten!

Herzlich,
Lisa Marie Binder
Erster Vorstand des Vereins