Klage vor dem Verwaltungsgericht München erfolgreich

Die von unserem Verein „Aus Liebe zum Grundgesetz“ im Oktober 2020 gegen den Freistaat Bayern initiierte Klage war erfolgreich.

Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur häuslichen Isolation wegen COVID-19 vom 18.08.2020 über den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes war im angefochtenen Umfang rechtswidrig.

Unser großer und glücklicher Dank geht an den mit uns kooperierenden, stets besonnen und überaus klug arbeitenden Rechtsanwalt, Benjamin Böhm, er geht an Sie, die Sie uns in der Not finanziell unterstützt haben und er geht an all diejenigen, die Ihr Interesse an rechtlicher Aufklärung aufrecht erhalten.

Sollte der Freistaat Bayern Rechtsmittel einlegen und wir uns in die nächste Runde begeben wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung! Unsere Mittel neigen sich dem Ende zu.

Herzlichen Dank!

Im Namen des Vereins,

Lisa Marie Binder

Erster Vorstand

Zum Urteil im Detail:

Die von unserem Verein „Aus Liebe zum Grundgesetz“ im Oktober 2020 gegen den Freistaat Bayern initiierte Klage war erfolgreich.

Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur häuslichen Isolation wegen COVID-19 vom 18.08.2020 über den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes war im angefochtenen Umfang rechtswidrig.

Die Allgemeinverfügung ordnete für Kontaktpersonen der Kategorie I sowie für Verdachtspersonen die häusliche Isolation an. Kontaktpersonen der Kategorie I waren solche Personen, denen vom Gesundheitsamt mitgeteilt wurde, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von Covid-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des RKI Kontaktpersonen der Kategorie I sind. Verdachtspersonen hingegen waren Personen, die Erkrankungszeichen zeigten, die auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 hindeuteten und für die entweder eine Testung angeordnet war oder die aufgrund der Erkrankungszeichen nach ärztlicher Beratung eine Testung durchgeführt hatten.

Die nun für rechtswidrig erklärte Allgemeinverfügung sah für Kontaktpersonen der Kategorie I sowie für Verdachtspersonen jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen vor. Für Kontaktpersonen der Kategorie I war eine 14-tägige häusliche Isolation unter weitreichenden Kontaktbeschränkungen gegenüber weiteren Familienmitgliedern angeordnet. Verdachtspersonen mussten sich für 10 Tage in häusliche Isolation begeben und hatten die Möglichkeit, sich ab dem 10. Tag frei zu testen.

Die Klägerin war vom Gesundheitsamt als Kontaktperson I eingestuft worden. Der vom Gesundheitsamt angeordnete und am 5. Tag der häuslichen Isolation durchgeführte PCR-Test der Klägerin erwies sich als negativ. Da der Arzt die Klägerin als Verdachtsperson im Sinne der Allgemeinverfügung einstufte, war für die Klägerin unklar, welche Rechtsfolgen der für ihren Einzelfall anzuwendenden Allgemeinverfügung gelten sollten: diejenigen für Kontaktpersonen der Kategorie I oder diejenigen für Verdachtspersonen.

Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zur häuslichen Isolation wegen COVID-19 vom 18.08.2020 über den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes im angefochtenen Umfang, ist durchaus ein Erfolg, den der Freistaat Bayern, wie in der Mündlichen Verhandlung ersichtlich wurde, nicht ohne weiteres hinnehmen möchte. Er will sich das Zuordnen der Patienten in Kategorien durch Ärzte nicht zurechnen lassen. Dem widerspricht das Gericht in aller Deutlichkeit. Die Einstufung der Klägerin als Verdachtsperson durch den Arzt ist dem Beklagten auch dann zurechenbar, wenn der bescheinigende Arzt nicht als Beliehener mit hoheitlichen Rechten ausgestattet war. Das Handeln eines Privaten nämlich, kann einem Verwaltungsträger auch dann zugerechnet werden, wenn ihm keine hoheitlichen Befugnisse übertragen wurden, sondern er als Verwaltungshelfer gewissermaßen als verlängerter Arm der Behörde mit deren Wissen und Wollen und auf deren Veranlassung unterstützend beim Verwaltungsvollzug tätig geworden ist.

Im Klartext: Soweit der Freistaat auf seiner Meinung besteht, das richtige, falsche oder überhaupt irgendein Einordnen von Patienten durch einen Arzt in Kategorien habe mit ihm selbst nichts zu tun, erteilt ihm das Gericht eine klare Absage. Weder hält es für wahrscheinlich, dass Ärzte sich Formblätter mit Briefkopf des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und dem Staatwappen versehen, selbst generieren, noch, dass der hier in Frage kommende Arzt so offensichtlich fehlerhaft gehandelt hat, dass sein Ankreuzen und Zuordnen deshalb dem Freistaat nicht zuzurechnen sei.

Ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung bestand aus Klägersicht bereits deshalb, weil die Klägerin durch die Quarantäne psychisch stark belastet worden sei. Zudem bestehe Aufklärungsbedarf, ob sie als Kontaktperson der Kategorie I strengeren Vorgaben unterworfen worden sei, als dies bei der richtigen Einstufung als Verdachtsperson der Fall gewesen wäre. Im Übrigen bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 30 IfSG als Ermächtigungsgrundlage für die Quarantäneanordnung. Die Allgemeinverfügung verstoße in Ziffer 2 gegen Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dieser besagt, dass über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung grundsätzlich nur der Richter zu entscheiden hat. Der PCR-Test, der bei der Patientin der Klägerin ein positives Ergebnis gezeigt habe, sei nicht dazu geeignet, mit hinreichender Sicherheit eine Ansteckungsgefahr nachzuweisen. Insofern fehle es an einer belastbaren Grundlage sowohl für die Anordnung einer Quarantäne als auch einer Testpflicht gemäß Ziffer 4.3 der Allgemeinverfügung.

Die letzten drei Jahre lassen die Beanspruchung manche dieser Argumente vor einem deutschen Gericht geradezu jungfräulich erscheinen. Im Oktober 2020, zum Zeitpunkt der Klageerhebung aber, durfte man allerdings auch als Jurist noch arglos davon ausgehen, dass solche Fragen nur eindeutige Entscheidungen hervorbringen würden.

Der Freistaat Bayern beantragte die Abweisung der Klage. Auch auf einen Hinweisbeschluss des Gerichts hin, hatte sich das Staatsministerium nicht vergleichsbereit gezeigt. Zur Begründung führte er auf richterlichen Hinweis im Juni 2023 zur Frage einander widersprechender Bescheinigungen aus: Die Einstufung als Kontaktperson der Kategorie I und Verdachtsperson schlössen einander nicht aus, sondern seien nebeneinander gültig.

Ausführlich legte die Vorsitzende Richterin bereits in der Mündlichen Verhandlung dar, weshalb sich die Allgemeinverfügung im Verhältnis zur Klägerin ab dem Zeitpunkt des Vorliegens eines negativen Testergebnisses auf SARS-CoV-2 als unbestimmt und damit rechtswidrig erweist. Wegen der widersprüchlichen Einordnung als Kontaktperson der Kategorie I und als Verdachtsperson sei für die Klägerin die Dauer der Quarantäne nicht mehr mit der gebotenen Klarheit zu erkennen gewesen. Das aber verlangt der rechtsstaatlich garantierte Bestimmtheitsgrundsatz.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Staatsministerium hat noch die Möglichkeit Rechtsmittel vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzulegen. Wie sich vor Gericht gezeigt hat, besitzt das Staatsministerium ein gesteigertes Interesse daran, negative Schlagzeilen zu vermeiden. Medialer Aufruhr im Hinblick auf Fehler bei der Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen scheinen nicht erwünscht. Dies gilt umso mehr, als die Verletzung rechtsstaatlicher Standards im Raum steht. Die Richterin hat dieser Haltung in der Mündlichen Verhandlung eine klare Absage erteilt: Wer Fehler gemacht habe, solle doch bitte zu ihnen stehen. 

Dieses Urteil verdeutlicht vier Dinge:

  1. Die Auseinandersetzung mit den wesentlichen Fragen in der Causa Corona, nämlich der Tauglichkeit eines PCR-Tests, der die Grundlage auch der hier in Zweifel gezogenen und für (in Teilen) als rechtswidrig erkannten Isolationsanordnung darstellte, oder der brisanten Frage der Ansteckungswahrscheinlichkeiten, wird, jedenfalls in naher Zukunft, nicht mehr erfolgen.
  2. Die Beschreitung des Rechtsweges ist der Allgemeinheit nur zuträglich, wenn sie gründlich und gewissenhaft erfolgt. Haben die Verwaltungsgerichtshöfe erst entschieden, ist die Chance auf eine richtungsändernde Entscheidung grundsätzlich verwirkt. Auf diese Weise kann das unsauber geführte Verfahren eines Einzelnen die Möglichkeit auf ein Urteil, das uns und unserem Grundgesetz in der Tat würdig ist, auf Dauer verunmöglichen. Das wichtigste Beispiel ist die Frage des PCR-Tests. Im September 2020 erhob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Test zum Goldstandard (!). Seitdem ist eine neuerliche Auseinandersetzung mit der Thematik de facto ausgeschlossen. Das Spektrum richtungsweisender Entscheidungen wird damit natürlicherweise auf ein Minimum reduziert.
  3. Die Reaktion der Richterin auf das klägerseits vorgetragene Begehr einer neuerlichen und besonders gründlichen Prüfung der Grundlagen aller Isolationsanordnungen, war ein lehrreiches Unterfangen. Hier traf das Verlangen nach rechtlicher Aufarbeitung auf schier unschuldiges Unverständnis. Was noch helfen könnte? Indem wir miteinander sprechen! Gespräche können Wunder wirken, wenn sie sich dort entwickeln, wo Offenheit und Interesse an Entwicklung aufeinandertreffen. In diesem Gericht schien die Voraussetzung günstig.
  4. Die Entscheidung zeigt, dass die Behörden sich bei der Zuhilfenahme von Ärztinnen und Ärzten nicht aus der Verantwortung ziehen können und widersprüchliche Entscheidungen des Staates nicht zu Lasten von Bürgerinnen und Bürgern bestehen bleiben dürfen.

Unser großer und glücklicher Dank geht an unseren stets besonnen und überaus klug arbeitenden Rechtsanwalt Benjamin Böhm, er geht an Sie, die Sie uns in der Not finanziell unterstützt haben und er geht an all diejenigen, die Ihr Interesse an rechtlicher Aufklärung nicht aufgeben.

Sollte der Freistaat Bayern Rechtsmittel einlegen und wir uns in die nächste Runde begeben wollen, brauchen wir Ihre Unterstützung! Unsere Mittel sind beinahe erschöpft.

Herzlichen Dank.

Im Namen des Vereins,

Lisa Marie Binder

Erster Vorstand