Der Tag der Freiheit

Mein Bericht zur Großdemonstration in Berlin, verfasst am 4. August 2020.

Wir waren am Samstag, den 1. August 2020 Zeugen der vielleicht größten politischen Friedens-Demonstration, die Europa je gesehen hat. Was sind wir glücklich. Glücklich wären wir auch noch heute, drei Tage später, wenn nicht das Fest eine Wendung genommen hätte, die ziemlich überraschend kam.

Dennoch würden wir wünschen, auch all diejenigen Menschen, die tatsächlich verhindert waren oder aus Sorge um Konsequenzen für ihre Kinder, ihre berufliche oder gesellschaftliche Position fern geblieben sind, hätten Teil dessen sein können, was wir erlebten. Trotz der Situation heute, drei Tage später, sind wir beseelt von einem Ereignis, das historischen Charakter hatte.

Gemeinsam mit einer Menge an Menschen, deren genaue Anzahl von den Massenmedien bereits am Samstag massiv in Zweifel gezogen wurde, die in Abgleich mit Bildern der Love-Parade jedoch mindestens an eine hohe sechsstellige Zahl reichen wird, spazierten wir vom Brandenburger Tor aus durch die Innenstadt bis auf die Straße des 17. Juni, umdas „Das Ende der Pandemie“ zu beschließen, lange bevor unsere Politik das in Angriff nehmen möchte. Sie wartet noch immer auf das Heil durch Impfungen gegen Covid-19, das der Bevölkerung zuteil werden soll, wenn die Impfung dann einmal im Hau-Ruck-Verfahren zugelassen wurde.

Wir nicht! Wir haben das Ende des größten pandemischen Schauspiels am Samstag, den 1. August beschlossen – und ab jetzt wird es in Anbetracht dieser enormen Menge von Gesicht-zeigenden Menschen nicht mehr ganz so leicht, über unsere Köpfe hinweg zu regieren: uns Lockdowns zu verkaufen, die auf uns zuschwappende Rezession als alternativlos darzustellen und Quarantänen zu verhängen, deren Verfassungsmäßigkeit so wahrscheinlich ist, wie die baldige freiwillige Demaskierung unserer Regierungen.

Die vergangenen Wochen waren mitunter mühsam – auch in Bezug auf das Organisieren und Besuchen unserer zahlreichen Grundrechts-Versammlungen im ganzen Bundesgebiet. Nachdem im Mai die Menschen immer zahlreicher erschienen, nahmen die Besucheranzahl mit den uns Gnaden-gleich zuteil werdenden „Lockerungen“ immer weiter ab. Wir hofften also betont zurückhaltend, auf wenigstens dreihunderttausend Menschen in Berlin zu treffen.

Es kam viel, viel besser: Wir erkannten sehr bald, dass der Strom an Menschen nicht abreißen wollte, der sich um das Brandenburger Tor herum versammelte. Das versprach Großes:

Wir Menschen hier in Berlin würden gemeinsam eine Zeitenwende herbeiführen. Dieser erste August war der Anfang!

Aufrührer in Verlegenheit

In den familienbedingten Demonstrations-Pausen auf Nebenstraßen unter lauschigen Bäumchen, wo sich bereits andere Familien niedergelassen hatten, wurden wir Zeugen besonders anrührender Bilder. Ranke, junge Pärchen, schwarz bis auf die Gesichtsmaske gekleideter, sich dabei überaus sicher im Stil, stießen zuversichtlich in die Menge – um nach wenigen Minuten, zumindest irritiert, wieder heraus zu laufen. Ich kam nicht umhin, wahrzunehmen, dass es mit einer Ernüchterung geschah, als sie sich ihrer Maskierung entledigten.

Diese jungen Menschen „in schwarz“ schienen mit ihrer Mission, die Menge aufzuwirbeln, ein wenig eingefahren zu sein – die schier gigantische Menge an friedlichen Menschen ließ ihnen an diesem Tag wenig Raum für besondere Aktionen.

Am Bayerischen Zug und überall trafen wir unvorhergesehen alte Freunde – und neue Bekannte aus unserer neuen Haupttätigkeit in der demokratischen Bewegung.

Eine uns bekannte Reporterin aus München hatte wenig gute Laune. Am Brandenburger Tor war es ihr unmöglich, ein Interview mit uns zu führen. Eine Verbindung ließ sich nicht herstellen. Meine Nachfrage, ob das an der hohen Netzauslastung liegen könne, tat sie ab. Sie war sich sicher, aus dem Netz geworfen zu werden.

An wenigen Orten trafen wir auf aufgerüstete Polizei. Wir sind voll des Dankes, dass diese sehr lange sehr friedfertig blieb, was in der jüngeren Vergangenheit mitunter in München tragischerweise nicht stets der Fall war.

Berlin schaut zu

Wir liefen entlang von Häuserblocks und winkten Menschen zu, die von ihren Balkonen zu uns herunter blickten. Ein Ordner sprach sie an: „Wir laufen hier auch für Euch. Wir sagen, was Ihr nur zu denken wagt. Wir arbeiten auf das gleiche Ziel hin, sind dabei nur entschlossener“. Nachdenkliche Gesichter sind das, in die wir da schauen.

Als wir begannen, unsere Flyer zu verteilen, lernten wir mitunter einen Clown und seine Mitspielerin kennen. Sie betrieben vor der „neuen Normalität“ „Das kleinste Privattheater der Region“ in Greiz. Die beiden erzählten uns im Gehen von ihrem Programm, das sie niemals spielen konnten.

Und wieder ein trauriger Clown. Sie fühlten sich geradezu von unserer Regierung aufgefordert, so drücken sie es aus, sich auf die Demonstration zu begeben, denn ohne Schauspiel, jedenfalls kein haus-eigens inszeniertes, kein eigenes Einkommen. Mit unseren Kindern hatten wir nach diesem Kennenlernen noch öfter die Gelegenheit, über die Beiden zu sprechen.

Menschen mögen Menschen

Schon beim Spazieren in Richtung Bühnen auf der Straße des 17. Juni nehmen wir etwas wahr, das wir schmerzlich vermisst haben. Es schien endlos lange her, dass wir Menschen uns gegenseitig mit Wohlwollen begegneten. An diesem Tag und diesem Ort waren alle Menschen miteinander verbunden. Wir blickten in ganze Gesichter, es kam immer wieder zu einem Lächeln, wir kamen überall für nur ein paar Sätze in Kontakt. Das fühlt sich gut an, besser, als jemals zuvor geahnt!

Das Wort vom „Gleichgesinnten“ erschließt sich mir erst seit diesem 1. August. Zuvor hatte ich ihn bloß als Floskel genutzt. Unser gemeinsamer, die Luft durchdringender fester Wille, uns ab sofort von undemokratischen, die Menschlichkeit ersticken wollenden Strukturen befreien zu wollen, beflügelte die Menge.

Einmal tausche ich Flyer gegen Brief mit Herz. Er ist gefaltet, innen von Hand geschrieben und zigmal kopiert worden. Ein Herr überreicht ihn mir. „Eine Herzensangelegenheit von mir“, so beginnt er. Der liebe Gott soll die „Demo-Berlin“ bewahren, allen Beteiligten Ruhe und Geduld verleihen, damit sie den Nächsten achten und ihm mit Liebe begegnen zu können. „Unsere Ziele“, so formuliert der Brief weiter: „“Grundrechte wiederherstellen, Maskenzwang aufheben, keinen Impfzwang, dies ist ein Muss, wir gehen doch nicht rückwärts“. Mir scheint, viele gute Geister haben im Hintergrund dafür gesorgt, dass an diesem Tag von den Demonstranten aus auch überhaupt nichts außer Kontrolle geriet.

Absurde Szenen

Kurz vor dem Ziel erreichen wir rechterhand ein Absperrgitter. Dahinter steht eine kleinere Gruppe von „Gegendemonstranten“. „Nazis raus, Nazis raus“, so skandieren sie uns zu. Die Antwort aus der Menge erzeugte Widerhall: „Nazis raus, Nazis raus!“ Absurde Szenen.

Am Ziel angekommen, lassen wir uns am schattigen Straßenrand nieder. Neben uns Menschen verschiedenen Alters. Direkt hinter uns ein Herr, gelehnt an einen Baum, um die sechzig Jahre, die Zeitung „Der Demokratische Widerstand“ in den Händen. Daneben eine Gruppe von Damen um die fünfzig, hörbar aus dem Nordrhein-Westfälischen. Sie tauschen sich aus über Vorkommnisse mit ihrer pflegebedürftigen Mutter. Vor uns Familien, Männer in ihren Mittzwanzigern. Bald werden zwei Frauen unsere Nachbarn, mit dabei ein junger Mann, vielleicht ihr Sohn. Sie kamen per Bus aus Waldshut-Tiengen, im Schwarzwald. Erkundigt, nach der Stimmung in ihrer Heimat, erzählt sie von einer Demo, mit immerhin fünfzig Menschen, doch das Leben ist sehr bedrückend geworden, auch dort.

Endlich eröffnet Michael Ballweg die Kundgebung. Auf großen Bildschirmen verfolgen wir die Rede. Im Anschluss spricht Thorsten Schulte. Die Menge ist sichtlich ergriffen, als er ausspricht, was wir fühlen. Als er dazu ein Video von Angela Merkel einspielt, stehen einigen Menschen die Tränen in den Augen.

Es ist ein unermesslicher Schmerz, den wir seit März in uns tragen und dem man sich nur mit großen Anstrengungen entziehen kann, sofern man offenen Auges in die Welt blickt. Wir stellen eine grundlose Entledigung unserer Grund- und Menschenrechte fest, eine Spaltung unserer Gesellschaft mittels psychologischen Terrors, dem wir kaum Herr werden können, so lange er von oben nicht eingestellt wird. Jede der Seiten, wir alle, als Gesellschaft unterliegen einer Anspannung, die erst, wenn sie nachlassen wird, die Folgeschäden offenbart.

Hier, auf der Straße des 17. Juni stehen wir wie selten, nein, wie noch nie, in einer solchen Einigkeit mit Hunderttausenden von Menschen zusammen.

Diese Politik ist am Ende. Wir fordern unsere Grund- und Menschenrechte ein und wir sind nicht gewillt, länger als Statisten eines großen pandemischen Schauspiels benutzt zu werden.

Karl Lauterbach in Großaufnahme

Als schließlich Karl Lauterbach auf den Bildschirmen erscheint, wird spürbar, wie groß der Wille ist, eine willkürliche Politik zu beenden: die Menschen reagieren hörbar.

Gleich wird uns wird mitgeteilt, der SPIEGEL habe bereits gegen zwölf Uhr gemeldet, die Veranstaltung wäre aufgelöst worden. Vor unseren Augen demaskiert sich die Politik.

Es schien bereits der nächste Moment gewesen zu sein, als Schulte irritiert fragt, ob etwa seine Redezeit vergangen wäre. Er hatte Besuch auf der Bühne bekommen, gefühlte zehn Minuten nach der Eröffnung.

Es trifft uns aus heiterem Himmel: Soeben habe die Polizei die Auflösung der Versammlung angekündigt. Wir sind fassungslos!

Eben wurden wir Zeugen einer gigantischen Friedensveranstaltung. Nichts konnte die pazifistische Haltung eines einzelnen Demonstranten, den wir gesehen habe, erschüttern, nicht einmal die Verlautbarungen unserer Politiker. Und nun das!

Aus Gründen der Vorsicht, begaben wir uns umgehend auf die Seitenstraße, von der aus wir akustisch direkt am Geschehen verblieben. Wir waren ergriffen – die Menge blieb friedlich vor Ort. Ebenso zurückhaltend die Polizei.

Begründet mit nicht ausreichend eingehaltenen Sicherheitsabständen und fehlender Masken, verkündete sie zum dritten Mal die Auflösung, verbunden mit der Aufforderung an die Menschen, sich nach Hause zu begeben.

Auf den Seitenstraßen

Wir stehen jetzt bei Menschen, die wir auf der Seitenstraße treffen: Mütter, eine Großmutter, einige Kinder. Sie bemalen die Straße mit Kreiden. Am Rand sitzen drei Damen aus Hamburg, eine von ihnen stammt aus Malaysia. Wir blicken uns entsetzt an. Als ich frage, ob das, was wir hier erlebten, nicht ein Wahnsinn sei, in seiner totalitären Dimension noch weitaus erdrückender, als alles, was wir in München gesehen haben und dies vor den Augen von hunderttausenden Menschen, zusätzlich all diejenigen, die an uns vorbei spazierten? 

Die Dame stimmt mir bedrückt zu. Sie glaube seit einiger Zeit, so sagt sie, es sei ein Fehler gewesen, nach Deutschland gekommen zu sein. Wie furchtbar, ihr zustimmen zu müssen.

Dieser, gerade auch hinsichtlich der Black-Live-Matters-Demonstrationen, offensichtlich unverhältnismäßige Eingriff war kein Zeugnis bedachter Politik. Man schaufelte sich hier ganz offensichtlich das eigene Grab. Welch Ohnmacht musste über Einsatzleitung, den Berliner Senat oder gleich das Kanzleramt gekommen sein, dass die Verantwortlichen sich hier zu solche einer Kurzschlusshandlung hinreißen ließen? Oder war denkbar, dass die Polizei schon länger Dramatischeres zu verhindern gewusst hatte? Vereinzelt hatten uns Beamten zugelächelt.

Als wir nicht länger bleiben können, radelt ein Herr an uns vorbei. „Voll die Fascho-Veranstaltung!“, lässt er uns kopfschüttelnd wissen.

Mein Mann fragt nach: „Rechts neben mir steht die KPD, was genau möchtest Du von uns?“. Er blickt verwirrt, durchlebt offenbar eine drastische geistige Dissonanz. Er taumelt auf seinem Rad, murmelt unzusammenhängend von der NSDAP. Mein Mann bekräftigt: „Richtig, diese dürfe nie wieder „passieren“. „Wir stehen hier, damit wir in keiner Gesundheits-Diktatur leben müssen“. Der Herr weiß nicht, wie ihm geschieht, er schafft den Aufschwung und fährt von dannen. Diesmal ist es andersherum: die Menge zuckt ratlos mit den Schultern.

Was dann auf die erste Euphorie folgt, ist die Ernüchterung mit Blick in die Presse. Es beginnt ein Informationskrieg zu den Teilnehmerzahlen, der bereits in die nächste Runde geht und es fallen Beleidigungen in Richtung Demonstranten, in nie gekanntem Ausmaß.

Hier finden Sie weitergehende Informationen, damit Sie sich, wenn Sie nicht vor Ort waren, ein eigenes Bild machen können.

Was bleibt, nach Berlin – ist eine tiefe Zuversicht. Wir stehen ein für Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit, die wir in einer Demokratie am ehesten leben können. An diesem ersten August haben wir Geschichte geschrieben. Die Geschichte einer gigantischen Friedensbewegung.

Die Wahrheit wird ans Licht kommen. Und dann werden im mindesten Entschuldigungen folgen – Gesundheitsminister Jens Spahn hat sie vorsorglich im Frühling angekündigt.